Umstellung von ISDN auf VoIP bei konventionellen TK-Anlagen

Die Umstellung des Telefonnetzes von ISDN auf VoIP ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern gehört mittlerweile zum Alltag Viele kleinere Provider bieten bereits kein ISDN mehr an, und die Telekom ist seit Längerem dabei, laufende ISDN-Anschlüsse aktiv zu kündigen.
Bei vielen TK-Anlagen-Besitzern kommt daher aktuell die Frage auf, wie man dieser Umstellung begegnet. Ich habe die gängigsten Alternativen aus meiner Sicht mal aufgeschrieben.


Ein kleiner Hinweis vorweg: es handelt sich dabei zunächst einmal um meine Meinung. Wer noch weitere Hinweise oder andere Varianten sieht, darf sich gerne bei mir melden 🙂

Einen pauschalen, optimalen Weg gibt es m. E. nach nicht, es sollten immer im Einzelfall alle Optionen geprüft werden, allein die Frage, ob man kurz- oder langfristig investieren möchte (bzw. kann), gibt schon eine grobe Richtung vor. Aber ich möchte mal meine persönliche Erfahrung dokumentieren und vielleicht kann ich dem einen oder anderen aufzeigen, dass es mehr Möglichkeiten gibt als bisher angenommen.

Neueres Anlagenmodell kaufen

Pro:

  • Bedienung bleibt gleich
  • Endgeräte können oft übernommen werden
  • Meist werden Zweidraht-Endgeräte weiterhin unterstützt. Um die Anlage weiter zu modernisieren, können zusätzlich IP-Endgeräte betrieben werden, so ist eine sanfte Migration möglich
  • Eine neue Anlage bringt meist auch neue Funktionen. Zwar sind die Änderungen, die man direkt am Endgerät hat, meist nicht so groß, dafür leisten moderne konventionelle TK-Anlagen heute mehr, wenn es um die Anbindung externer Dienste geht, wie zum Beispiel Adressbücher oder externer Nebenstellen sowie auch Smartphones.
  • Konventionelle TK-Anlagen werden noch über ein Servicepartner-Netz vertrieben; dort gibt es meist noch vor Ort Tipps für die optimale Konfiguration.
  • SIP wird gern als Standard bezeichnet, streng genommen ist es, wie bei den Internet-„Standards“ üblich, eine Sammlung von Empfehlungen, die teilweise mehr oder minder streng ausgelegt werden. So kann es zu Interoperabilitätsproblemen kommen. TK-Anlagenhersteller zertifizieren meist SIP-Provider und sorgen dafür, dass ihre Anlagen „garantiert“ mit diesen zusammenarbeiten.

Contra:

  • Oft ist dies die teuerste Variante.
  • Bei manchen TK-Anlagen-Herstellern bedeutet eine „hybrid“-Funktionalität (also IP und klassische Zweidraht-Telefonie) „es geht von jedem etwas, aber nichts richtig“. Der Funktionsumfang zwischen IP und Zweidraht unterscheidet sich, oft werden Zweidraht-Endgeräte auch garnicht mehr weiterentwickelt.
  • Viele Hersteller (z.B. Unify (ehem. Siemens)) sind mittlerweile auf „software assurance“-Modellen, sprich: man muss jährlich abhängig von den lizenzierten Funktionen und Nebenstellen eine Gebühr zahlen, um kontinuierlich Updates der Anlagenfirmware zu bekommen; ggf. gibt es auch keinen Support direkt vom Hersteller, wenn keine gültige Lizenz vorliegt.
  • Klassische Anlagen benötigen meist Kontakt zu einem Servicepartner. Man ist auf einen Servicepartner angewiesen, um Softwareupdates zu erhalten.

Bestehendes Anlagenmodell um VoIP-fähige Baugruppe erweitern

Leider wird bei der Umstellung viel Quatsch verbreitet, was man unter anderem auch daran sieht, dass ein Produkt namens „Digitalisierungsbox“ vermarktet wird, die etwas digitalisieren will (ISDN), was bereits digital ist (zur Erinnerung: ISDN steht für Integrated Services Digital Network).

So ist es auch nicht verwunderlich, dass viele TK-Anlagenbesitzer per se davon ausgehen, ihre Anlage sei nicht „VoIP-fähig“. Oft lassen sich aber existierende Anlagen bereits um eine entsprechende Baugruppe nachrüsten.

Pro:

  • Am wenigsten Umbauaufwand
  • Kann die günstigste Variante sein

Contra:

  • Benötigte Baugruppen / Lizenzen nicht bzw. nur über den Gebrauchtmarkt erhältlich
  • Ggf. wird kein Support mehr durch den Hersteller gegeben. Wenn es künftig zu Änderungen bei SIP kommt, die zu Problemen führt, ist es möglich, dass keine Firmwareupdates vom Hersteller mehr bereit gestellt werden.

WLAN-Router mit integrierter SIP-Anlage

Kleinere TK-Anlagen lassen sich ggf. auch durch moderne, integrierte Geräte ersetzen. Als Beispiel wäre die elmeg be.IP plus zu nennen. Auch Lancom hat ähnliche Produkte im Angebot (z. B. LANCOM 883 VoIP).

Pro:

  • Ein Gerät für alles. Gerade in kleineren Betrieben, wo nur eine handvoll PCs im Einsatz ist,
  • Manche Hersteller bieten auch eigene IP-Telefone an, die von der Anlage konfiguriert werden können.

Contra:

  • Single Point of Failure. Fällt dieses eine Gerät aus, funktioniert gar nichts mehr.
  • Komplett anderes System
  • Man hat quasi wieder einen „vendor-lock-in“. Die Provisionierung von IP-Telefonen funktioniert nur für die vom Hersteller freigegebenen Telefone (meist nur seine eigenen).
  • keine Zweidraht-Telefonie möglich

Bestehende Anlage mittels ISDN-SIP-Gateway anbinden

Wie gesagt: viele TK-Anlagenbesitzer sind der Ansicht, ihre bestehende Anlage würde durch den Umstieg auf VoIP unbrauchbar. Verschiedene Händler spielen hier auch mit der Angst der Kunden, und behaupten dreist, man müsse jetzt dringend handeln, sonst könne man von heute auf morgen nicht mehr telefonieren.
Auch das ist falsch. Schon seit einigen Jahren gibt es auf dem Markt Hersteller, die sich etabliert haben und kleine Wandler anbieten, die zwischen ISDN und SIP anbieten. Prominente Vertreter kommen zum Beispiel aus dem Hause Patton oder Beronet. Wie funktioniert das?
Die TK-Anlage wird statt an den NTBA an das Gateway angeschlossen, das Gateway wird via LAN mit dem Router verbunden.

Pro:

  • Gateways sind flexibel konfigurierbar. Etwas „ausgefallene“ Wünsche älterer oder seltener Telefonanlagen können meist auch erfüllt werden.
  • Kein Umbau notwendig, u. U. sind nicht einmal Änderungen an der Konfiguration der TK-Anlage erforderlich.

Contra:

  • ISDN-Leistungsmerkmale sind ggf. nicht richtig abbildbar.
  • Die Signalisierung zwischen TK-Anlage und „Amt“ ist nicht mehr richtig abbildbar, da die ISDN-Verbindung zwischen TK-Anlage und SIP-Gateway idR immer funktioniert, sobald das Gateway in Betrieb ist.
  • Man schaltet sich ein Zusätzliches Gerät in die Kette zwischen TK-Anlage und Amt und ggf. verschiebt man das eigentliche Wartungsproblem (Lizenzkosten, Support, etc. des Gateways)

Randbemerkung: Fritzbox als SIP-Gateway

Oft höre ich von dem Vorhaben, eine Fritzbox als SIP-Gateway zu verwenden. Die größeren Fritzboxen bringen ja eine S0-Schnittstelle mit. Dazu möchte ich anmerken: die Fritzbox ist ein Gerät, das für den privaten Bereich gedacht ist. Das ist auch die Aussage, die man vom AVM-Service erhält.
Verständlicherweise fehlen ihr daher auch Funktionen, wie sie im geschäftlichen Umfeld durchaus üblich sind (z. B. Unterstützung mehrerer LANs, LAN-Segmentierung mittels VLANs, detaillierte Möglichkeiten, Paketpriorisierung zu konfigurieren, …).
Darüber hinaus bringen die Geräte als „Rundumsorglos-Paket“ diverse Funktionen mit, die ggf. ünnötig sind, wenn man sie einfach nur als SIP-Gateway einsetzen will (eigene TK-Anlagenfunktionalität, DECT, NAS-Funktionen…).
Neben diesen Punkten spricht für mich gegen den Einsatz einer Fritzbox zu diesem Zweck, dass der S0-Anschluss (offiziell) kein Anlagenanschluss-Protokoll (PtP) unterstützt und der eine S0-Port auch nicht erweiterbar ist.

ISDN-SIP-Gateway mittels Asterisk bauen

Wer etwas Bastelaufwand nicht scheut, kann sich z. B. mit einem älteren Computer und ISDN-Karten ein SIP-Gateway auch selbst bauen, z. B. mit der freien Telefoniesoftware Asterisk.

Pro:

  • Sehr flexibel
  • die einzigen Anschaffungskosten sind die für die benötigten ISDN-Karten; einen passenden PC hat man ggf. noch
  • Asterisk kann bei Bedarf zu einer „richtigen“ Telefonanlage ausgebaut werden

Contra:

  • Sicherlich die steilste Lernkurve

Umstieg auf Software-TK-Anlage

Es gibt einen unüberschaubaren Markt an reinen Software-TK-Anlagen. Diese kann man entweder auf lokal verfügbarer Hardware installieren oder sich als Dienstleistung aus der „Cloud“ mieten.
Zwei bekanntere Vertreter sind das auf Asterisk basierende Freepbx und das ehemals auf Asterisk basierende „Gemeinschaft“.

Pro:

  • Keine dedizierte Hardware mehr nötig. Je nach Nebenstellenanzahl reicht ein kleiner Raspberry Pi aus.
  • Der Einstieg in diese Welt ist meist praktisch kostenfrei möglich
  • Meist große Auswahl an IP-Telefonen, die von der Anlage unterstützt und provisioniert werden können

Contra:

  • Keine Zweidrahttelefonie möglich
  • Die meisten dieser Anlagen basieren auf Opensource-Telefonanlagenprojekten, sind aber im Funktionsumfang künstlich beschnitten auf das, was der Hersteller warten will. Zusätzlich werden Funktionen kostenpflichtig zubuchbar gemacht.

TK-Anlage mit Asterisk selbst aufsetzen

Wenn man eh schon den Weg in eine komplett neue und zukunftsorientierte Telefoniewelt machen möchte, stellt sich die Frage, ob man nicht auch gleich alles selbst macht. Zum Beispiel Asterisk hat eine recht große Community, es gibt diverse Bücher und es ist viel Dokumentation frei verfügbar.

Pro:

  • Sicherlich die flexibelste alle hier aufgezählten Varianten.
  • Abzüglich ggf. der Hardwareanschaffung für einen Server kostenfrei

Con:

  • steilste Lernkurve
  • Asterisk wird oft als „Kostenlose Telefonanlage“ bezeichnet, das ist m. E. nach aber irreführend. Ohne weiteres bekommt man Asterisk schnell dazu, dass Teilnehmer sich gegenseitig anrufen können. Alles, was darüber hinaus geht, muss man selbst erarbeiten. Es gibt keine Klickibunti-Konfigurationsoberfläche und keine Menüs, in denen man sich mal eben schnell eine neue Rufverteilung zusammenklicken kann. Dafür kann man sich aber eine Telefonanlage erarbeiten, die zu 100% auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt ist
  • Da man sich alles selbst erarbeitet hat, gibt es auch keine Hotline, die man anrufen kann, wenns klemmt
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