Alte Telefonanlagen um moderne Funktionen erweitern

In vorigen Einträgen habe ich ja schon etwas dazu geschrieben, dass ich heute durchaus einen Sinn in der Zweidrahtschnittstelle sehe.
Es mag also sein, dass man noch eine ältere TK-Anlage aus gutem Grund betreibt, sei es, weil eine flächendeckende Versorgung mit Endgeräten (und sogar auch DECT-Kanalelementen) sehr kostengünstig möglich ist.
Dass das Telefonnetz auf VoIP umgestellt wird, ist Realität. In einem vorigen Eintrag habe ich ja bereits auf die Möglichkeit hingewiesen, dass man eine Amtsanbindung erreichen kann, indem man sich ein ISDN-SIP-Gateway mittels Asterisk baut.
Wenn man diesen Weg eingeschlagen hat, hat man die volle Kontrolle nicht nur über ein Asterisk, sondern über die in einem Computer verbauten ISDN-Karten auch einen relativ flexiblen Zugang zur TK-Anlage.
Ich dokumentiere hier einmal, welche Funktionen ich selbst in einer solchen Installation umgesetzt habe.

Wir haben mal überlegt, was ein schicker Name für diese Installation wäre, und sind vorerst bei PBXtender hängen geblieben.

Motivation

Klassische Telefonanlagen für den geschäftlichen Bereich wie die Siemens Hipath 3000-Serie leisten hervorragende Arbeit, wenn es um die Bewältigung des täglichen Telefonieaufkommens geht. Jahrzehntelange Entwicklungsarbeit führte zu einer großen Anzahl von Leistungsmerkmalen und komfortabel zu bedienenden Endgeräten, hinter denen viele moderne reine IP-Anlagen oder gehostete Lösungen die nicht der ursprünglichen Telefoniewelt entsprangen, oft zurückstecken. Die Unterstützung klassischer Endgeräte und DECT-Kanalelementen auf Zweidrahtbasis ermöglicht die Versorgung von Gebäuden mit vorhandener Altverkabelung mit im Vergleich zur Netzwerkverkabelung sehr geringen Anforderungen an die Leitungen.
Zudem ermöglicht ein lebendiger Gebrauchtmarkt aktuell einen guten Zugang zu Ersatzteilen und Erweiterungen.

Diese TK-Anlagen scheitern jedoch daran, den Anschluss VoIP-Welt zu halten. Anwendungen wie Voicemail, Fax-Dienste, Sprachmenüs (IVR) oder Konferenzräume mit unbegrenzter Teilnehmeranzahl waren oft nur durch die Anschaltung externer Geräte oder Server möglich, was oft auch den zusätzlichen Erwerb kostspieliger Lizenzen erforderte. Selbst wenn solche Lösungen heute vorhanden sind, haben diese oft das Problem, dass sie vom Hersteller lange abgekündigt sind und man hier auf den Einsatz veralteter Betriebssysteme oder spezieller Anschaltehardware in den Rechner angewiesen ist.

Die Anbindung aktueller Technologien wie Amtszugänge per SIP sind dagegen überhaupt nicht möglich, da diese zum Entwicklungszeitpunkt der TK-Anlagen noch nicht vorgesehen waren. Um klassischen TK-Anlagen einen Amtszugang per SIP zu ermöglichen, existieren Media Gateways. Diese sind flexibel zu konfigurieren, bieten außerhalb der Technologieübersetzung jedoch keine Anwendungen und sie sind in ihrem Ausbau oft starr oder beschränkt.

Aufbau

Das System besteht aus einem handelsüblichen Server. Die einzige Anforderung ist, dass er für die Art und Anzahl der zu verwendenden ISDN-Karten genügend passende PCI(e)-Schnittstellen bietet. Die Basis des Servers ist Debian Linux sowie ein aktuelles Asterisk.
Genutzt werden können sämtliche ISDN-Karten, die durch Linux und Asterisk unterstützt werden, ich setze insbesondere ein:

Eicon DIVA BRI / PRI (z. B. Eicon DIVA Server PRI)
Digium DAHDI-Karten (z. B. TE110P)

Je nach Bedarf können ISDN-Karten in den Modi PtP, PtMP oder Q.SIG betrieben werden. Dadurch kann ich die TK-Anlage jeweils mit den Protokollen mit dem Server verbinden, die für die unterschiedliche Anforderungen am sinnvollsten sind.

Voicemail mit MWI, E-Mailbenachrichtigung und Telefonbuch-Lookup

Eine beliebige Anzahl von Mailboxen kann über das Voicemailsystem von Asterisk angebunden werden. Bei verpassten Anrufen kann eine E-Mail verschickt werden. Ebenso wird per E-Mail über neue Voicemail-Nachrichten informiert und diese als Teil der E-Mail mit verschickt.
Zusätzlich kann eine E-Mail bei verpassten Anrufen verschickt werden.
Bei beiden Funktionen habe ich ein Skript eingebunden, das die Rufnummer des Anrufers zusätzlich in Adressbüchern nachschlägt. Auf diese Weise ist es möglich, über das Maß an Telefonnummern, die in der TK-Anlage selbst gespeichert werden können hinaus, Zugriff auf Rufnummern-Namen-Umsetzung zu haben.

SIP-Amtszugänge

Das wichtigste: eine beliebige Anzahl SIP-Konten kann registriert werden. Sowohl ankommend wie auch abgehend kann eine beliebige Auswertung erfolgen, um z. B. abgehend unterschiedliche SIP-Konten zu wählen. Auch ankommend kann die Rufnummer des Anrufers ausgewertet werden, sog. „CLIP-based Routing“. Damit können für besondere Rufnummern besondere Funktionen geschaltet werden, u.a. aber auch Werbeanrufer direkt ausgesperrt werden.

Anbindung zusätzlicher Dienste per Shell-Skript

Mithilfe von Asterisk wird eine Verbindung zwischen dem klassischen Telefon und einem Linux-System geschaffen. Durch die leistungsfähige und flexible API von Asterisk ist es möglich, mit einem Telefon nahezu alles zu steuern, was man mit einem PC auch steuern könnte sowie praktisch sämtliche Daten bzw. Ereignisse, die ein PC über das Netzwerk abfragen kann, dazu zu nutzen, um bspw. automatisiert Anrufe zu initiieren.
Ich setze es zum Beispiel ein, um den Linux-Musikservers mpd über die Telefontastatur zu steuern. Wenn der gesteuerte PC an seinem Audio-Ausgang z. B. eine Lautsprecheranlage angeschlossen hat, die ein Gebäude versorgt, kann man auf diese Weise sehr komfortabel die Musikuntermalung im Haus steuern — Durchsagen sind auf ähnliche Weise möglich.

Sprachmenü (IVR)

Sprachdialogmenüs kann man mit Asterisk ja auf verschiedenste Weise realisieren. Bei den meisten klassischen TK-Anlagen ist das – wen überhaupt – nur mit teueren Anschaltgeräten oder speziellen Baugruppen möglich.
Wenn für eine größere Anlage zum Beispiel nur ein nicht-durchwahlfähiges SIP-Konto zur Verfügung steht, kann man auf diese Weise eine einfache Möglichkeit für eine Art Pseudo-Durchwahl ermöglichen, indem dem Anrufer die Möglichkeit gegeben wird, seine Ziel-Nebenstelle selbst nachzuwählen.

Es gibt auch im Asterisk-Umfeld Fax-Komponenten, die lizenzpflichtig sind. Die Treiber der Eicon-Karten bieten allerdings eine Fax-Unterstützung. Auf diesem Wege habe ich (zumindest eine primitive) Fax to mail und mail to Fax-Lösung realisiert, sodass empfangene Faxe als Mail mit PDF-Anhang zugestellt werden können und per Mail empfangene Daten gefaxt werden können. Damit entfällt die Notwendigkeit eines physischen Faxgerätes und ggf. der Betrieb einer zusätzlichen Faxserver-Lösung.

Generieren von Gebühreninformationen (AoC)

Die über die Asterisk-API bereitgestellten Funktionen ermöglichen es, für beliebige Gesprächsarten beliebige Takte für ISDN-Gebührenimpulse (AoC, Advice of Charge) auszuspielen. „Full-Flats“ sind bei Telefonanschlüssen deutlich weniger verbreitet als bei Mobilfunkverträgen. Auf diese Weise kann man dem Anwender direkt am Endgerät anzeigen lassen, wie teuer der Anruf z. B. auf eine Sonderrufnummer oder ins Handynetz ist.

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