Das Telefonat als Auslaufmodell? – Über die Vorzüge synchroner Kommunikation

Ich erlebe es immer wieder, und mit zunehmender Verbreitung asynchroner Kommunikationsformen wie Mail, Instant Messenger oder Sprachnachrichten: Telefonieren wird als überkommene Technologie betrachtet. Das Tischtelefon wird soundso geächtet (wobei ich für das klassische Tischtelefon durchaus Anwendungsfälle sehe, siehe diesen Beitrag).

Ich habe in letzter Zeit insbesondere diese Argumente gegen Telefonate mitbekommen:

  • Ich störe den anderen grundsätzlich.
  • Telefonate sind nicht archivierbar.
  • Ich muss mich mit dem Gegenüber beschäftigen und muss auf Fragen sofort reagieren.

Das Telefon ist aber nicht nur einfach nur ein Kommunikationsmedium wie jedes andere, sondern der fundamentale Unterschied besteht darin, dass Mail, Chats, etc. asynchrone Medien sind, während das Telefonat wie auch das persönliche Gespräch synchron arbeiten: alle Parteien müssen zum gleichen Zeitpunkt an der Kommunikation teilnehmen.

Jedes Medium für seinen Zweck

An der Stelle möchte ich es einmal etwas allgemeiner fassen und sagen: Jedes Kommunikationsmedium hat seine Stärken und optimalen Einsatzgebiete. Ebenso kann jedes Medium auch falsch genutzt werden. Ich würde ein Telefonat z. B. dann bevorzugen, wenn ich kurzfristig eine Antwort benötige. Ich habe es schon oft mitbekommen, dass eigentlich zeitkritische Informationen über ein asynchrones Medium ausgetauscht werden („Bist du schon im Besprechungsraum? Kannst du mal nachgucken welchen Anschluss der Beamer hat?“, „Wir fahren gleich zu XY, möchtest du bei uns mit fahren?“). Wo ein klärendes Telefonat kaum länger gedauert hätte als das Verfassen der initialen Kurznachricht, ist man nun permanent latent abgelenkt und guckt ständig auf’s Gerät („Ist die Nachricht schon gelesen worden? Habe ich schon eine Antwort?“). Ich bin hier lieber ein mal kurzzeitig zu 100% „abgelenkt“, habe dann aber in der Regel direkt meine Antwort, als dass ich für eine ungewisse Zeitspanne latent gefordert bin.

Telefonate werden in der Regel nicht archiviert, wenngleich das technisch kein Problem darstellen würde. Allerdings gibt es für „Flurgespräche“ und Besprechungen auch kein Wortprotokoll. Aber das ist auch gar nicht erforderlich, wenn es um unwichtige Dinge geht (s.o.), die wiederum einen Chatverlauf o.ä. verwässern würden. Den Kern des Ganzen offenbart dieses unfreiwillig komisch wirkende „Telefon-Knigge“-Video https://www.youtube.com/watch?v=AchErsF7GHU : Nehmt euch Zeit! Nehmt euch Zeit für effiziente und effektive Kommunikation. Egal, welches Medium man nutzt: man kann es immer ineffizent nutzen. Telefonieren macht einem hingegen auch bewusster, dass man gerade die Zeit Anderer beansprucht. Das ist bei E-Mails nicht anders! Und es wird tendenziell sogar mehr, wenn man mit wenig Aufmerksamkeit verfasste Antworten verschickt, die die Effizenz einer Diskussion sinken lassen.

Und eine gewisse Kommunikationskultur kann gerade auch helfen, oft genannte Nachteile synchroner Kommunikation zu mildern: Wir haben doch heute eher das Problem, dass zu viel Daten vorliegen. Wird ein komplexeres Thema mit mehreren Beteiligten erörtert, sind Mails im 2-stelligen Bereich doch kein Problem. So ein Mailverlauf wird dann zusätzlich aufgebläht, weil Verteiler nicht oder falsch genutzt werden, man also dieselbe Mail mehrfach erhält, dann werden Dokumente verschickt, dann kommen Mails dazwischen wie „Ich konnte den Anhang nicht öffnen“ oder „Ich hab die Mail versehentlich gelöscht, kann ich sie nochmal bekommen?“, oder man schweift vom eigentlichen Thema ab (Jemand schreibt „Jetzt wo $Fußballverein gewonnen hat, kann ich dazu ja mal was sagen“,…), etc. In diesem Wust – und dann bei der Qualität der Suchfunktionen heutiger Mailprogramme – noch etwas zu finden, ist sehr schwierig. Und trotzdem werden Informationen dann noch außerhalb des Mailverlaufs geklärt und sind dann nicht automatisch Teil eines entsprechenden Archivs.
Aufgeräumter kann es sein, wenn man nach einem längeren Telefonat / einer Telefonkonferenz ein Ergebnisprotokoll verfasst und allen Teilnehmern zugänglich macht.
Bei Mails wird ein Archiv oft als „Beweismittel“ angesehen. Aber wie viel ist das im Alltag wert? Bei justiziablen Aussagen / Rechtsstreitigkeiten vielleicht, aber ansonsten kann man hier natürlich auch problemlos behaupten „Das habe ich aber anders gemeint“, „Da habe ich mich auf einen anderen Absatz bezogen“, etc., oder man kann – unabsichtlich oder absichtlich – Dinge uneindeutig formulieren.

Und „Aufmerksamkeit“ ist direkt der nächste Punkt: ich habe in meinem Mailprogramm einen Ordner, in dem ich nur Mails sammle, bei denen ich auf die Antwort anderer warte. Teilweise schleppen sich Konversationen / Diskussionen über Monate hin, weil Adressaten nicht oder unzureichend antworten.

In schriftlicher Kommunikation im Allgemeinen lassen sich Emotionen sehr schlecht ausdrücken. In einem Telefonat habe ich die Gelegenheit, zu hören, wie das Gegenüber drauf ist, und vor allem auch: wie sehr es bei der Sache ist. Eine E-Mail, Kurznachricht, Sprachnachricht, etc. ist schnell mal dahin geklatscht. Gerade bei Diskussionen per Mail habe ich es schon oft erlebt, dass Adressaten mit TOFU einen halben Satz über eine längere Diskussion schreiben und von 10 Aspekten ungefähr drei halb beantworten. Bei einem Telefonat kann man freilich auch nicht ganz bei der Sache sein, aber es fällt auf. Was in einem Telefonat ebenfalls leichter auffällt: wenn ich das Gegenüber inhaltlich verliere oder ich etwas grundlegend falsch verstanden habe.

Was sagt der Rest des Internets?

Das sind nun meine persönlichen Ansichten und Erfahrungen, aber ich habe mal recherchiert, wie Andere zu dieser Fragestellung stehen und festgestellt, dass ich

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S002210311630292X
„Ask in person: You’re less persuasive than you think over email“

Die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung, die ich finden konnte. Man hat mit einer Studie untersucht, wie man Menschen zu etwas bewegen kann, und hat dabei insbesondere gezeigt, das text-basierte Kommunikation wie zum Beispiel E-Mail weniger Überzeugungskraft bringt als die persönliche Ansprache.

https://www.foerderland.de/organisieren/news/artikel/effiziente-kommunikation-e-mail-vs-telefon-1/

Hier werden E-Mail und Telefon als Kommunikationsmittel gegenüber gestellt, der E-Mail werden mehr Vorteile zugesprochen, da man hier zeitsourverän ist E-Mails automatisch archiviert werden.

https://www.nfon.com/de/news/presse/blog/blog-detail/e-mail-chat-oder-telefon-wie-aus-dir-ein-beliebter-und-effizienter-arbeitskollege-wird

Der Telefonanlagen-Anbieter NFON stellt E-Mail, Telefonat, Chat und Videotelefone gegenüber. Vorteile für das Telefonat werden vor allem gesehen bei:

  • Erörtern komplexer Sachverhalte
  • Pflegen persönlicher Kontakte

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man hier: https://9clouds.com/blog/phone-call-vs-email-how-to-know-when-to-take-the-conversation-offline/

https://toolblog.de/2017/06/28/telefonieren-ist-besser-als-schreiben/

Etwas weiter geht diese Webseite und listet 10 Punkte, wann ein Telefonat besser ist als eine E-Mail. Insbesondere bei sehr wichtigen Nachrichten, oder auch, wenn man bewusst für den Moment keinen schriftlichen Beleg über das Gesprochene haben möchte, ist es sinnvoll.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man hier: https://www.inc.com/kevin-daum/10-reasons-to-pick-up-the-phone-now.html

https://blog.hubspot.com/marketing/when-phone-is-better-than-email

Hier werden noch ein paar Umfragen / Studien verlinkt. Und ein anderer Aspekt offenbar: E-Mails sind leichtgewichtiger als z. B. ein Telefonat, aber das führt offenbar auch dazu, dass sie sehr oft verschickt werden. Ungelesene Mails im dreistelligen Bereich sind Usus, was doch wiederum dazu führt, dass man sie nicht aufmerksam liest, direkt löscht, oder sich Kommunikation hier eben auch unnötig in die Länge zieht.

Also: Beschäftigt euch mit euren Menschen, steigert Effizienz und Effektivität durch Wahl des optimalen Mediums für jede Gelegenheit und ignoriert das Telefon nicht, nur weil es das schon lange gibt. Oder, wie der Werbeslogan eines großen deutschen Providers lautete: „Ruf‘ doch mal an!“

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