Auf dem YouTube-Kanal der Telekom wurde am 18.02.2020 ein Video mit dem Titel „Umstellung auf IP: Von Fakten und Falschmeldungen“ veröffentlicht:
https://www.youtube.com/watch?v=fXH7UKk8P9Y
Kurz gesagt: Die Telekom nimmt Bezug auf negative Presse im Zusammenhang mit der Migration auf All-IP. Es wird herausgestellt, dass die Telekom hier eine beeindruckende Leistung abgeliefert hat und noch abliefert, und dass die Medien sich unverhältnismäßig stark und ungerechtfertigter weise auf negative Effekte konzentrieren, da nur ein sehr geringer Teil der Kunden tatsächlich Einschränkungen erfahre. Das ist nicht das erste Video dieser Art, es gab schon ein ähnliches, das ich auch kommentiert habe:
Zunächst wird herausgestellt, dass bereits eine sehr große Anzahl der Anschlüsse (95% aller Kundenanschlüsse) auf die IP-Plattform migriert worden ist, und zwar im laufenden Betrieb, und dass das eine große Leistung sei.
Das ist zwar grundsätzlich der Fall, und man muss der Telekom zugestehen, dass das schiere Kundenvolumen gegenüber allen Mitbewerben in Deutschland eine Herausforderung an sich ist.
Aber das ist nicht das erste mal, dass eine „Migration“ im Telefonnetz im laufenden Betrieb stattfindet. Die Einführung von ISDN war nämlich eine ebensolche: Sämtliche Vermittlungsstellen, fast ausschließlich analog arbeitend und darüber hinaus aus verschiedenen Generationen stammend, mussten durch Technik ersetzt werden, die allein physisch einen komplett anderen Aufbau hat.
Interessanterweise wird im Video nicht ein mal der Begriff „ISDN“ erwähnt.
Es ist nachvollziehbar, dass die ISDN-Vermittlungsstellentechnik wie sie die Telekom im Einsatz hat, nicht mehr lange in Betrieb gehalten werden kann, da sie vom Hersteller schon einige Jahre nicht mehr unterstützt wird. Auf den Punkt wie sie die Telekom im Einsatz hat komme ich noch zurück.
Es seien 0,001% Kunden, die von der IP-Migration negativ beeinflusst seien. Wie das gerechnet wird, ob sich dieser Anteil tatsächlich nur auf die Festnetz-Kunden bezieht, wird nicht angegeben.
Wenn man das auf die eingangs erwähnten 25 Mio. IP-Anschlüsse zu 95% insgesamt umlegt, wären das etwa 260 Kunden bundesweit. Sorry, liebe Telekom, aber das nehme ich euch nicht ab. Mir sind allein etliche Fälle bekannt oder zugetragen worden, bei dem Kunden nach der IP-Umstellung deutliche Einschränkungen erdulden müssen, demzufolge bräuchte ich nur eine handvoll weiterer Techniker finden und dann müssten wir schon alle genannten Kunden zusammen haben. Das passt nicht so ganz. Entweder wurde bei der Definition von „von der IP-Migration negativ beeinflusst“ „geschummelt“, bei der Berechnung wurden als Kunden deutlich mehr gezählt als nur die Festnetz-Kunden, oder beides.
Ohne weiter auf dieses Thema einzugehen, gibt es einen Schwenk auf das Thema Mobilfunkausbau, und eine Kommune wird an den Pranger gestellt, in der es Probleme bei der Errichtung eines Mobilfunkstandorts gab und deswegen nun der Mobilfunkausbau und damit Angebote für die Endkunden gehemmt würden.
Schließlich wurden auch Satelliten-basierende Anschlüsse als „Alternative zum Festnetz-Anschluss“ beworben.
Hier werden aber zwei Dinge vermischt: Es wird vermieden, anzusprechen, dass die neue Technik, also z. B. VDSL-Anschlüsse, weniger Reichweite hat als Anschlüsse auf ADSL- oder gar ISDN-Basis. Wie selbstverständlich wird Mobilfunk als Alternative angesehen. Der ist aber gerade in solchen Regionen oft ähnlich schlecht ausgebaut wie das Festnetz (was wunder!), und weil die Standortverfahren nicht so laufen wie die Telekom sich das wünscht, ist dann die Kommune schuld, dass Festnetzkunden jetzt mit einem völlig kastrierten Kommunikationsanschluss zurückgelassen werden.
Die Kritik bleibt hier daher dieselbe: das alte wird abgebaut, bevor das neue dieselbe Dienstgüte erbringen kann. Und die neue Technik ist eben nicht besser als die alte, weil sie weniger Reichweite hat als die alte, und sie die Kunden zwingt, auf Mobilfunk oder sogar Satellit umzusteigen.
Dazu kommt, dass die Telekom – ohne technische Notwendigkeit – LTE als „Festnetzanschluss“ nur dann anbietet, wenn am Standort auch DSL verfügbar ist. Bis heute ist dieser Hybrid-Anschluss nur mit Telekom-eigenen Routern nutzbar, die die Internetverbindung über LTE nur dann freigeben, wenn auch eine gültige DSL-Synchronisation vorliegt. Und die Not kann hier noch nicht so groß sein, denn schließlich wäre durch den Rückbau der Vermittlungsstellen-Althardware ja genug Potential für Ersatzteile vorhanden.
Und: Es ist ja auch durchaus im Rahmen des Möglichen, vorhandene Baugruppen aufzuarbeiten, um ihre Lebensdauer zu verlängern. Auch so etwas wird an anderer Stelle ja gemacht: https://www.youtube.com/watch?v=q4bDA_k2m6g
Auch wenn das im Jahre 2020 völlig unvorstellbar scheint: Es gibt in Deutschland bis heute Regionen, wo Internet ausschließlich über ISDN möglich ist. Mobilfunk ist dann oft so schlecht ausgebaut, dass man für Handyempfang „auf den nächsten Acker“ fahren muss.
Diesen Kunden wird der ISDN-Anschluss aktiv gekündigt, und, da kein DSL geliefert werden kann, werden sie auf *eine* analoge Leitung zurückgefahren. Diese Kunden verlieren also nicht nur ihren einigermaßen funktionierenden Internetzugang, sondern direkt auch noch einen vernünftigen Telefonanschluss sowie die Möglichkeit, 2 Dienste (Telefon bzw. Internet) über ein Adernpaar fahren zu können. Nun könnte man ja sagen „Dann brauche ich eben einen analogen Anschluss für’s Telefon und einen für’s Internet“, aber – völlig überraschend – ist in besagten Regionen das Netz nicht ausreichend ausgebaut, um allen betroffenen Kunden die doppelte Kapazität an Leitungen (Also Kupfer-Doppeladern) anzuschalten.
Dass es durchaus erhebliche Probleme gibt, ist belegt, und führt eigentlich nur deswegen nicht zu größerem Wirbel, weil die BNetzA Internet über einen analogen Telefonanschluss als „funktionalen Internetanschluss“ einschätzt:
https://mdb.anke.domscheit-berg.de/2019/11/bundestagsreport-isdn-abschaltungen/
Da habe ich dann erst recht nichts von den in dem Interview beworbenen (aber nicht näher ausgeführten) neuen Diensten, die die neue Plattform leisten soll.
Mich würde immer noch interessieren, welche neuen Dienste das IP-Telekommunikationsnetz für den Kunden bietet. Oder anders formuliert: Mir würde genügen, wenn das neue Netz wenigstens den gleichen Leistungsumfang hätte wie ISDN (siehe dazu meinen anderen Blogbeitrag).
Wie gesagt: es ist nachvollziehbar, dass die Telekom die ISDN-Vermittlungstechnik ihres Bestandes austauschen muss. Die Siemens EWSD und Alcatel S12 sind sicherlich grundsolide Geräte, aber eben alle auch schon erwähnte ~25 Jahre alt, und seitens ihrer Hersteller schon lange abgekündigt.
„25 Jahre“, das klingt natürlich schnell alt. Keiner von uns möchte mit einem 25 Jahre alten Handy oder Laptop seine tägliche Arbeit verrichten müssen. Aber: Wenn das so uneingeschränkt stimmen würde, müssten wir unverzüglich größere Teile unseres Verkehrsnetzes stilllegen. Verkehrssicherungstechnik wie Stellwerke für Eisenbahn und Straßen- bzw. U-Bahnen sind meist deutlich älter als 25 Jahre. Hinzu kommen Steuerungen für Kraftwerke und generell Industrieanlagen, hier sind teilweise auch Maschine und Systeme im Einsatz, die um die 100 Jahre alt sind und noch zuverlässig ihren Dienst tun.
Der ICE 1 beispielsweise ist bereits über 30 Jahre alt, und es sind auf deutschen schienen viele weitere Lokomotiven und Waggons unterwegs, die noch älter sind — und das überhaupt nur dürfen, wenn sie „Frist“ haben, eine Art Eisenbahn-TÜV, der allerdings deutlich strenger und aufwändiger ist als das was wir vom KFZ kennen.
Und darüber hinaus: die Hersteller der MSANs bieten wie selbstverständlich, neben (V)DSL- und POTS-Linecards auch ISDN-Linecards an. Es wäre technisch also kein Problem, einerseits die alten Systeme zurück zu bauen, aber andererseits als Sonderlösung für die Kunden – und zu Sonderlösungen ist man ja offenbar bereit (s.o.) – , denen man keine Alternative aus dem Standardportfolio bieten kann, über diesen Weg weiterhin einen funktionalen Internetanschluss zur Verfügung zu stellen.